Blöde, lebensverändernde MECFS

Für mich teilt sich mein Leben in zwei Teile:

Einmal das Leben vor der Krankheit und einmal das Leben mit der Krankheit. Wobei der Übergang verschwimmt, denn die ME CFS kam nicht plötzlich.

Es ist mehr dieses neue Level der Erkrankung, der Pinkt an dem ich festgestellt habe: Ich schaffe es nicht mehr aus der Krankschreibung heraus.

Seit dem hat sich so unglaublich viel verändert…

Und einiges (gesundheitliches) ist nicht aufgearbeitet oder klar.

 

Als Kind hatte ich kaum Kondition, wiederkehrende Infekte, ständig Antibiotika.

Es folgte eine OP im Bereich der Niere.

Beim Radfahren konnte ich nicht mithalten, beim Laufen auch nicht, es gab die unbeliebte Teilnahmeurkunde bei den Sportspielen, für mehr hat es nie gereicht.

Vor der OP wurde es auf die Infekte geschoben, nach der OP eben auf die OP.

Aber ich glaube inzwischen, dass ich nie besonders „fit“ war.

 

Immer wieder hatte ich Zustände der körperlichen und geistigen Erschöpfung, des „ausgelaugt seins“, für die Ärzte war klar: Depressionen, psychosomatische Beschwerden.

Die Diagnose bekam ich schnell.

 

Irgendwann wurden nachts meine Finger und Füße dick, mir fehlte die Kraft eine Wasserflasche aufzumachen.

Da war die Diagnose: Gelenk -  Rheuma, liegt bei uns in der Familie.

Ich erklärte, dass nicht die Gelenke das Problem seien, sondern die Kraft, die fehlt, die zunehmenden Erschöpfungszustände, die schubartig kommen, Atemnot beim Gehen, Haarausfall, geschwollene Lympfknoten, ständige Halsschmerzen, der übersteigerte Durst, die immer, immer, immer gefühlte Kälte in den grauen Händen und Füßen, fieren, selbst im Sommer, das fehlende Schwitzen, die Blassheit, ständig erhöhte Temperatur und so viel mehr.

Aber auch hier: psychosomatische Beschwerden.

 

Ich erinnere mich gut an ein Besuch bei meinem früheren Hausarzt. Ich frug ihn, ob ihn eine Art Beschwerdetagebuch oder ähnliches helfen würde, denn ich glaubte nicht an die Diagnose „psychosomatische Beschwerden“, eher an einen Vitaminmangel oder eine Stoffwechselschwierigkeit.

Er erklärte: „Es gibt keine Krankheit, die das macht. Ihre Beschwerden sind psychosomatisch. Ein Beschwerdetagebuch wird nur dazu führen, dass Sie sich da reinsteigern. Machen Sie eine Therapie!“.

Da hatte ich diese Dinge schon bestimmt zunehmend fünf Jahre.

 

Ich war bei einer anderen Ärztin, die mich in ein Klinikum Im Ruhrpott schickte.

Dort wurde bereits bei der Eingangsuntersuchung gesagt, ich solle lieber auf die Behandlung psychosomatischer Beschwerden schauen, denn die mitgebrachten Blutergebnisse sein unauffällig.

Und so stand es auch im Abschlussbericht.

 

Inzwischen hatte ich meine damalige Arbeitsstelle aufgegeben und zu einem Arbeitgeber gewechselt, wo ich durch Vorarbeit 60 Tage im Jahr frei hatte, denn mit 30 Tagen Erholungsurlaub kam ich nicht mehr aus und wurde wegen Depressionen immer wieder krankgeschrieben.

Immer wieder habe ich den Versuch unternommen rauszufinden, was mit meinem Körper los ist, denn die Antidepressiva und die Therapie haben nicht geholfen.

Immer wieder war ich so kraftlos und so erschöpft, immer wieder hörte ich: Psychosomatische Beschwerden.

 

Inzwischen gab es Phasen, da kam ich auf der Arbeit die Treppe nicht mehr hoch.

Ich hab so dermaßen nach Luft geschnappt, mir war so kippelig durch den hohen Puls, als hätte ich eben um mein Leben mit einem Bären gekämpft.

Aber auch hier: psychosomatische Beschwerden.

 

Bis zu den nächsten freien Tagen hab ich Abstreichzettel gehabt. Nur noch 20 Arbeitstage, nur noch 5 Arbeitstage usw.

Ich hab so gekämpft, ohne Krankschreibung von einer freien Phase bis zur nächsten zu kommen, von einen Schulferien zu den nächsten… Und es klappte immer weniger.

 

Da merkte ich schon die Einschränkungen im Privatleben deutlicher.

Bis dahin war ich so sehr „unterwegs und aktiv“, dass viele dies für ein zu hohes Pensum hielten.

Ich war Mutter von zwei Kindern und einem Stiefkind, hatte meinen Job mich knapp 30 Wochenstunden, zwei Hunde, mit denen ich mindestens 1 ½ Stunden vor der Arbeit gegangen bin, war im Kinderschutz aktiv, hab mich in der Lokalpolitik viel in Ausschüsse und Sitzungen gesetzt, Leute und Freunde getroffen, nebenbei Möbel bearbeitet, mit dem Bohrhammer Dinge eingerissen, gebaut, gewerkelt, hab 17 Dinge gleichzeitig gemacht und gekonnt, den Familienalltag organisiert und konnte „keine 5 Minuten stillsitzen“, so sagt es mein Mann. Ach ja, irgendwann kamen die #nordstadtkatzen noch dazu.

 

Außer es kam zu diesen Phasen.

Da kam dann die erhöhte Temperatur, die Kraftlosigkeit, die Erschöpfung. Und diese Phasen kamen schneller aufeinander, blieben länger und weiteten sich aus.

 

Dann kamen die Herbstferien 2021. Seitdem bin ich nicht mehr arbeiten gewesen.

 

Zunächst war ich krankgeschrieben wegen, wie könnte es auch anders sein, Depressionen.

Auf X/Twitter hab ich über den Weg der Diagnose etwas berichtet, es hat so lange gedauert und war sooo heftig für mich und uns als Familie.

Im engsten Kreis saßen wir zusammen nach dem zweiten Krankenhausaufenthalt in kurzes Zeit ( Entlassungsdiagnose: Psychosomatische Beschwerden) und ich habe gesagt:

„Entweder bin ich kaputter, als ich es mir zugestehen will und bin ernsthaft psychisch krank oder… oder nicht und es gibt etwas, was die Ärzte nicht sehen wollen oder können… Was soll ich tun?“

Das Gespräch war nicht leicht und auch nicht eindeutig.

Ich wusste nicht, ob dieses „den Beschwerden weniger Beachtung schenken“ reicht, denn inzwischen konnte ich das Haus kaum noch verlassen.

Das Belastungs-EKG wurde nach 90 Sekunden und ich glaube 25 Watt abgebrochen, denn mehr ging nicht. Ich hab gezittert vor Kälte und vor Erschöpfung, der Puls nahm die 170er Grenze locker. Das war aber auch fast das einzige, was messbar war.

Und da war die ärztliche Meinung: Untrainiert… 

 

Ich hab so viele Sendungen „Abendteuer Diagnose“ geschaut mit der Hoffnung, irgendwann herauszufinden, was da mit meinem Körper los ist, irgendwann auf etwas zu stoßen, was eine Erklärung sein könnte, aber ich habe den Ärzten immer mehr geglaubt: Das Problem ist psychisch, ich bin selbst schuld und wenn ich nur hart genug an mir arbeite, wird es besser.

Das war ja das, was ich gesagt bekommen habe, jahrelang.

„Das ist der Stress!“ oder „Sie machen ja so viel“… Nahezu jeder Arzt, jede Ärztin sagte das.

Inzwischen kommt es mir fast so vor, als habe ich alles vorgeholt, alles komprimiert, was ich heute nicht mehr kann.

 

Ein Vertretungsarzt meines vorherigen Hausarztes hab ich nach dem zweiten Krankenhausaufenthalt auch gesagt, dass ich langsam nicht mehr weiter weiß.

Er hat sich Zeit genommen, in meine Akte geschaut und gesagt: „Bei Ihnen ist doch bisher nur der Standard untersucht worden.

Ich will mich nicht in die Arbeit des Kollegen einmischen, aber wenn wir die Mitochondrien bei Ihnen untersuchen, bin ich mir sicher, es kommt dabei was raus. Wirklich.“

Und das haben wir dann gemacht.

Die Ergebnisbesprechung war dann wieder beim eigentlichen Arzt und der sagte: „So einen schlechten Wert habe ich noch nie gesehen!“ und ich dachte: Endlich! Endlich etwas greifbares, endlich glaubt er mir.

Weit gefehlt. Alle zwei Wochen erzählte er was von Willensstärke, von Patienten, die ohne körperliche Gründe schlapp sein, von Therapie, von Sport, der alles regelt.

Zu dem Zeitpunkt konnte ich nicht mehr richtig essen, denn selbst das Kauen war zu anstrengend. Haare föhnen, Duschen, nicht machbar. Selbst sitzen ging kaum.

 

Durch X/Twitter kam ich dann mit ME CFS in Berührung, ganz genau weiß ich es nicht mehr, aber es beschäftigte mich.

Irgendwann kam ich an den Diagnosebogen mit den Kanadischen Kriterien, wow, da passte fast alles.

Auch das konnte aber dem Hausarzt nicht helfen, mich ernst zu nehmen, er war der festen Überzeugung, Sport und eine kytogene Ernährung in Kombi mit ner Therapie wären alles, was ich bräuchte.

Die Therapeutin, die er bat, mir schnell einen Platz anzubieten hatte inzwischen auch raus: Die körperlichen Beschwerden sind körperlich, nicht psychisch.

Aber auch das änderte die Sicht des Arztes nicht.

Irgendwann frug er mich: „Und sie glauben wirklich, dass sich all diese schlauen Leute, all die studierten Ärzte, die sagen, ihre Beschwerden sind psychosomatisch, irren? Sie sagen das allen Ernstes?“

 

Irgendwann nahm ich Angehörige mit zu den Terminen mit dem Arzt, weil ich mir so blöd vorkam. Neurologisch auffällig, kaum noch in der Lage zu gehen, mich zu unterhalten, zu lesen, völlig reizüberflutet und mit echt auffälligen Demenztests… Er war der festen Überzeugung und hat es auch nicht geändert: Psychosomatische Beschwerden.

 

Selbst als ich durch einen Spezialisten, den ich selbst gesucht habe, klar und deutlich schriftlich hatte, das ich ME CFS habe, war er noch immer der Meinung:

Frauen… psychosomatisch.

 

Tja, nun hab ich die Diagnose und mein Leben 2.0 oder wie auch immer ist so viel anders.

 

Meine Welt ist so viel kleiner geworden, so unvorstellbar klein.

Ich schaffe es nur in Ausnahmen mal unsere Lebensmittel einzukaufen.

Ich schaffe es kaum, eine Karte zu lesen und zu verstehen.

Ein Telefonat geht, wenn ich auf alte Infos zurückgreifen kann, neues aufzunehmen ist schwer und fordert mich.

Besuch bedeutet danach 2 Tage noch weniger zu können.

Mein Leben beschränkt sich fast ausschließlich auf unsere Wohnsituation.

 

Ich schaffe keinen Elternabend und kaum ein Eisessen mit den Kindern.

Ich schaffe keinen Kinobesuch oder einen Bummel über den Markt.

Was ich kaufe, kaufe ich online.

Mit den Hunden gehen: Ein toller Traum.

Meistens trage ich Jogginghosen, die sind einfacher anzuziehen als Jeans.

Meine Kontakte werden immer weniger, ich kann sie kaum noch aufrecht erhalten.

Früher war es für meinen Mann schwierig, denn egal wo wir waren, irgendjemanden kannte ich, jemand kannte mich und es folgte immer ein kurzer Schnack:

In der Stadt, in der Sauna, beim Einkaufen… 

Heute kennt mich kaum noch jemand…

Das klingt nicht nur traurig, es ist auch so.

Außerhalb der Kernfamilie habe ich noch eine Freundin und das Support-Team, das wars. Ich bin so sehr verschwunden aus den Köpfen der Menschen und habe so sehr an Bedeutung verloren…

Das ist so bitter.

 

Aber auch verständlich, so gibt es Phasen, an denen ich nicht ans Telefon gehe, weil ich nicht in Kommunikation treten kann. Ich kann zu keiner Geburtstagsparty mehr gehen und lade dazu nicht mehr ein.

Ich lade nicht zu dem Kaffee und nem Schnack ein und gehe zu keinem hin…

Hahahaha, gehen… Selbst das geht kaum noch. Ich schaffe im Moment keine 100 Meter mehr.

Und so ists auch mit meiner geistigen Leistungsfähigkeit.

Körper und Geist sind schwach, so schnell erschöpft, aber meine Seele nicht.

Die will noch immer 20 Sachen gleichzeitig. Die will noch immer bohren, hämmern, malen, springen, tanzen…. 

 

Ich bin nicht Zuhause und habe Urlaub und kann im Sommer schwimmen gehen und mich verabreden.

Ich hab eine Leistungsfähigkeit von 30% vor diesem schlimmen, anhaltenden Schub, wenn es schlecht ist sogar nur noch 20%.

 

Das kann man sich vielleicht vorstellen, wie ein Schrott-Akku:

Ein guter Akku hält einen Tag durch, du kannst arbeiten gehen, Gespräche führen, dich mit Freunden treffen, essen kochen,… was auch immer. Nachts wird er geladen und du hast am nächsten Tag wieder Power.

 

Bei mir ist es anders:

Mein Akku hat nur noch 30%.

Ein Gespräch mit den Kindern kostet 3%, Duschen und Haare waschen 10%, , Anziehen kostet auch schon 2%, etwas Essen auch 2%,…

Jeder Gang zur Toilette kostet, jedes Gespräch, jedes Lesen, jedes Staubsauen…

Und nachts läd der Akku gar nicht richtig auf.

Ich habe jeden Tag Schmerzen, ich habe seit Jahren nicht mehr durchgeschlafen, ich bin keinen Tag erholt.

 

Ich kann mir nicht vorstellen, jemals wieder Fahrrad zu fahren oder Urlaub zu machen, selbst ein Spieleabend oder ein Kinobesuch sind soooo weit weg,

mich selbst versorgen scheitert alleine daran, dass ich gar nicht durch den Supermarkt gehen kann, weil Reize und körperliche Belastung zu viel sind.

Und: Es gibt keine Therapien.

 

Manchmal höre ich „aufmunterndes“ wie: Aber es wird doch jetzt geforscht und es gibt schon zwei Kliniken in Deutschland!...

Das baut mich nicht auf.

Es ist frustrierend. 

Weil kaum jemand diese Krankheit kennt, weil kaum jemand damit etwas anfangen kann und doch so viele meinen, dass das mich aufbauen müsste.

Aber der Alltag ist komplett anders.

 

Inzwischen habe ich einen Arzt gefunden, der mich ernst nimmt. Der hat klar gesagt, dass er fast nichts über diese Erkrankung weiß, aber mich begleiten und Dinge ausprobieren will.

Aber das war es auch schon.

Im Moment suche ich nach einer neurologischen Begleitung, denn dies brauche ich für die Behörden.

Alle, ausnahmslos alle Praxen im Umkreis von 100 km die ich angeschrieben/angerufen habe und keine Selbstzahlerpraxen sind, haben entweder noch nie von ME CFS gehört oder kennen sich nicht damit aus und nehmen keine „solchen“ Erkrankungen auf.

Die neurologische Station, auf der ich letztes Jahr war, kannte den Begriff übrigens auch nicht.

Und so muss ich also erklären, obwohl ich es selbst ja gar nicht richtig verstehe, ich bin keine Medizinerin, stoße so oft auf „Tja, die Medizin wird in ein paar Jahren weiter sein!“ oder „Was von selbst kommt, geht von selbst“ und bis dahin.. ja, weitermachen…

Aber ich werde unsichtbar…

Immer mehr.

 

Und da ist die Bekannte, mit der ich gerne nen Kaffee trinken würde, die Freundin, mit der ich gerne telefonieren würde… und es geht nicht. Und es gibt immer weniger Menschen, denen ich wichtig bin.

 

Mal ganz abgesehen davon, dass ich grade 40 bin und nicht mehr arbeiten kann, kann ich auch so viel anderes nicht mehr.

Und mein Mann und meine Kinder müssen so viel mehr Last tragen… und sind fast mein ganzer Kontakt zur Außenwelt.

Es ist so bitter!

 

 

Tja,  wie sehr sich mein Leben verändern würde, war mir nicht klar.

Aber ME CFS ist unerbittlich.

 

Und natürlich versuche ich die letzten Spuren von mir und meiner Persönlichkeit aufrecht zu erhalten und freudig zu sein und positiv und zufrieden und dankbar und nett und zukunftsbejahend und der Sommer wird toll und die Blumen und die Terrasse…

 

Aber es ist wie der Lockdown… Ich komme nicht aus dem Haus, auf Dauer.

Und es ist wie eine schwere Grippe… Alles tut weh und alles ist anstrengend, aber auf Dauer.

Ich frage mich, wie ich meinem Leben einen (anderen) Sinn geben kann, immerhin hab ich noch einiges an Lebensjahren vor mir.

Wie kann ich mein Leben füllen, was kann ich selbst noch schaffen?

Und da wird’s halt kniffelig.

Weil eben auch mentale Anstrengung dazu führt, dass noch weniger geht.

Weil ich eben nicht mehr so voller Möglichkeiten bin.

Ich bin halt nicht nur im „Urlaub“, ich bin halt nur noch 20-30%..

 

Bitter…

 

Der Ärger mit den Behörden setzt noch einiges drauf. Finanziell hab ich Angst…

 

Ich will auch gar nicht so pessimistisch sein, wirken, abschließen…

Aber es sind grad lebensbedeutende Dinge, eine lebensverändernde Phase und das ist drastisch.

Irgendwo muss das auch hin… Sorry, no sorry.

 

Ich muss lernen mehr Geduld mit mir zu haben und den Dingen, die nicht mehr gehen.

 

Ich bin dankbar für meinen Account auf X/Twitter und die Menschen, mit denen ich dadurch in Kontakt treten kann.

Es fühlt sich ein bisschen an, wie ein kleines Fenster nach außen.

 

Alles wird gut, irgendwie, irgendwann

Und bis dahin mache ich weiter.

 

Ach, und:

ME CFS ist eine neurologische Erkrankung und seit 1969 offiziell anerkannt!